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Karl May - Versuch einer Biographie des Vielgelesenen (Aufsatz
aus meinem Dresdener Fotoalbum von 1996) Wenn von Karl May die Rede ist, fallen
sofort Namen wie Winnetou, Old Shatterhand, Hadschi Halef Omar oder Kara Ben
Nemsi ein. Und mit ihnen die Erzählung unglaublicher, ja unmöglicher
Abenteuer. Aber wer kennt schon Namen wie Karl
Sternau, Max Walter, Franz Arndt oder Oskar Steinbach - ebenfalls Helden, die in
diversen Romanen und Erzählungen May´s auftauchen. Und kaum einer weiß, dass auch heute
noch Karl May zu den am meisten gelesenen deutschsprachigen Schriftstellern in
der Welt zählt: Seine abenteuerlichen Reiseerzählungen aus Nordamerika und dem
Orient sind in über 80 Millionen Exemplaren erschienen. Und so abenteuerlich wie seine Erzählungen
war auch sein Leben: Karl May wurde am 25.02.1842 im
erzgebirgischen Ernstthal geboren. Der Vater war Weber, die Mutter
verdiente als Hebamme zum kargen Lebensunterhalt dazu. Von weiteren 13
Geschwistern starben neun, die meisten gleich nach der Geburt. Bis zu seinem 5. Lebensjahr war Karl May
blind; die berufliche Bekanntschaft seiner Mutter mit Dresdener Ärzten verhalf
ihm dann zu seinem Augenlicht. Die Großmutter, an der er zeit seines
Lebens mit großer Liebe hing, war nach einem Schlaganfall drei Tage scheintot,
ein Erlebnis, das für sie eine sehr verinnerlichte Beziehung zum Leben schuf.
Dies schlug sich auch in ihren Märchen und Erzählungen nieder. Dem blinden
Kind waren dies die ersten Eindrücke vom Leben und vermutlich der Grundstock für
die reiche Fantasie. Mit fünf Jahren wurde Karl May
eingeschult. Neben dem Besuch der Schule verdiente er sich als Kegeljunge ein
paar Groschen. Die in den Gasthäusern gehörten "Lügengeschichten",
aber auch seine unkontrollierte Lektüre - er las alles, was ihm in die Hände
fiel (später von ihm selbst als "Schundliteratur" bezeichnet) - waren
weitere Meilensteine seiner Entwicklung. Da er hochintelligent war, durfte er das
Lehrerseminar (als Webersohn!) besuchen: 1856 - 60 in Waldenburg, wo er jedoch
wegen Diebstahls einiger Kerzen (!) entlassen wurde, 1860/61 in Plauen, wo er
mit der Note "gut" abschloss. 19jährig wurde er zuerst Hilfslehrer in
der Armenschule in Glauchau. Hier musste er nach 14 Tagen schon wieder weg, weil
er ein Techtelmechtel mit der Frau seines Hauswirtes begann. Seine nächste
Anstellung fand er in einer Fabrikschule in Altchemnitz. Wegen angeblichen
Diebstahls einer Taschenuhr (Diese Uhr wurde ihm von seinem Zimmerkollegen
bisher stets zur Verfügung gestellt, so dass er sie auch über Weihnachten mit
nach Hause nahm. Vermutlich um ihn aus dem gemeinsamen Zimmer zu drängen,
beanzeigte ihn der Besitzer der Uhr.) wurde er zu sechs Wochen Gefängnis
verurteilt. Damit war auch das Lehreramt für ihn zu Ende. Seinen weiteren Lebensunterhalt
verdiente er sich mit Privatunterricht, Rezitationen und anderen
Gelegenheitsarbeiten. Aber auch Betrügereien und Hochstapeleien waren an der
Tagesordnung. Die Folge: Verurteilung zu 4 Jahren 1 Monat Arbeitshaus in Zwickau
(1865 - 68), wovon ihm jedoch acht Monate wegen guter Führung erlassen wurden. Er fühlte sich von allen verraten und
ungerecht behandelt, Rache an der Allgemeinheit wollte er: Weitere
Hochstapeleien, auch Diebstähle folgen, ebenso besteht der Verdacht der
Brandstiftung. Im Juli 1869 erfolgt erneute Verhaftung. Bei der Überführung
jedoch kann er entspringen und verbirgt sich im Wald (Karl-May-Höhle?), bevor
er ins "Böhmische" wechselt, wo er dann im Dezember 1869 wieder
dingfest gemacht werden kann. Es folgen vier Jahre Zuchthaus in Waldheim (1870 -
1874). Eine letzte Haftstrafe von drei Wochen
soll er noch 1879 verbüßen: Wegen einer Bagatellsache - er untersucht den Tod
eines Verwandten - wird er wegen Amtsanmaßung in Hohenstein-Ernstthal
festgesetzt. Die Zeiten seiner Inhaftierungen hat May
bestens genutzt: Er betätigte sich als Bibliothekar, betreute Musik- und
Gesangverein, insbesondere aber gab er sich der Lektüre - vor allem Bücher über
Erd- und Völkerkunde - hin. Er selbst bezeichnet die vier Jahre in Waldheim als
seine eigentliche "Studienzeit". Bald nach seiner Waldheimer Entlassung
beginnt er, sich intensiv seinen literarischen Plänen zu widmen. Im März 1875 wird er beim Verlag Münchmeyer
in Dresden als Redakteur angestellt. Neben seiner Arbeit dort veröffentlicht er
auch seine ersten nennenswerten Erzählungen: So entstehen "Inn-nu-wo",
der Ur-Winnetou, aber auch die Erstfassung von "Old Firehand" und
vieles mehr. Wegen diverser persönlicher Differenzen
(er lehnt den Familienanschluss - Heirat der Schwägerin von Münchmeyer - ab)
verlässt er den Verlag jedoch bald wieder und betätigt sich ab 1877 als freier
Schriftsteller. Hier kommt er mit mehreren Verlagen in Kontakt. 1879 erscheint sein erstes Buch - er hat
bisher nur in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht. "Im fernen Westen" ist die überarbeitete
Form der 1875 im "Deutschen Familienblatt" erschienenen
Old-Firehand-Erzählung (diese wird später nochmals von ihm überarbeitet und
findet als Mittelteil Eingang in "Winnetou II"). 1880 heiratet er in Ernstthal Emma
Pollmer - eine hübsche Frau, die verstärkten Wert auf Äußerlichkeiten legt.
Vermutlich auf ihren Druck hin stimmt er dem erneuten Werben des Verlages Münchmeyer
zu, für diesen Romane in Kolportageform (Verkauf als
"Fortsetzungsromane" in Groschenheften) zu liefern. So entstehen in den Jahren 1882 - 88 fünf
Romane mit insgesamt über 12000 (andere Quellen 15000) Schreibseiten - meist
unter Pseudonym (diese Romane erscheinen später - ohne Erlaubnis des Autor´s,
zumeist auch mit fremden Ergänzungen versehen(?) - als Bücher und sind
Grundstein vieler Rechtsstreitigkeiten). Karl May will aber mehr als nur
Kolportage schreiben - auch wenn hier gutes Geld zu verdienen ist. Wegen unüberbrückbarer Differenzen
trennt er sich endgültig von Münchmeyer. Es folgen weitere Erzählungen in
verschiedenen Zeitschriften, für einen Jugendbuchverlag schreibt er seine
sieben Jugendbücher. 1891 lernt May den Verleger Fehsenfeld
kennen; bei ihm erscheinen ab 1892 die "Gesammelten Reiseromane" (ab
1896 auf May´s Wunsch "Gesammelte Reiseerzählungen" genannt) in
Buchform: Hierfür ordnet May seine bisherigen Erzählungen neu, schreibt Übergänge
und Änderungen und schafft so mehr oder weniger zusammenhängende Romane. Auch
neue - komplette - Bücher werden verfasst. Der ungeahnte Erfolg dieser Arbeiten
macht ihn berühmt und wohlhabend. Vorträge - z.B. auch vor der bayerischen Königsfamilie
- tragen zur weiteren Bekanntheit bei. Aber er identifiziert sich auch immer
mehr mit den Helden seiner Erzählungen bis hin zu der Behauptung: Ich bin Old
Shatterhand, ich bin Kara Ben Nemsi, ich habe all das Erzählte selbst erlebt -
ein Tun, das neben Bewunderern auch Neider und Denunzianten auf den Plan ruft. 1895 kauft sich Familie May in Radebeul
bei Dresden eine Villa und nennt sie "Villa Shatterhand". 1899/1900
macht er mit seiner Frau Emma und der befreundeten Familie Plöhn eine längere
Orientreise. Die Eindrücke auf dieser Reise bewirken einen Sinneswandel: Die
nun folgende Schaffensperiode wird von allegorischen Büchern bestimmt. Friede -
für den er sich immer schon stark gemacht hat - , Nächstenliebe, die
"Entwicklung zum Edelmenschen" sind nun Thema seiner Bücher. 1903 Scheidung von seiner Frau Emma, er
heiratet Klara, verwitwete Plöhn. Die "Münchmeyer-Romane"
erscheinen - unautorisiert - unter seinem Namen als Bücher - man will auch am
Erfolg des Namens Karl May teilhaben. Da zudem große Teile der Bücher (ca. 600
Seiten) vermutlich nicht aus der Feder Karl May´s stammen, kommt es zu endlosen
Prozessen. Man beginnt in seiner Vergangenheit, die
er vergessen glaubte, am Wahrheitsgehalt seiner Erzählungen und Erlebnisse, an
der Glaubwürdigkeit seiner Person zu forschen - schmerzhafte Veröffentlichungen,
Verleumdungen, weitere Prozesse sind die Folge. 1908 führen Karl und Klara May eine
Reise ins östliche Nordamerika durch - den "Wilden Westen" hat er
jedoch nie gesehen. Angesehen, von vielen geliebt, aber auch
verleumdet - trotz gewonnener Rechtsstreitigkeiten - stirbt Karl May am
30.03.1912 in Radebeul. Er wird in der Grabstätte, die Klara für
ihren Mann errichten ließ, beigesetzt. Diese Grabstätte, Nachbildung eines
griechischen Nike-Tempels, ist mit einer Figurengruppe von der Hand Selmar
Werner´s, einem Protege Karl May´s ausgestattet. Die Worte auf dem Sockel
stammen von May selbst:
"Sei uns gegrüßt! Wir, deine Erdentaten erwarten dich hier am
Himmelstor;
du bist die Ernte deiner Saaten und steigst mit uns nun zu dir selbst
empor." Nach dem Willen Karl May´s wird seine
Frau Klara Alleinerbin mit der Auflage, eine mildtätige Stiftung ins Leben zu
rufen. Die 1913 gegründete "Karl-May-Stiftung" wird von Klara nach
ihrem Tod 1944 zum Alleinerbe aller May´schen Hinterlassenschaft incl. der
Urheberrechte an seinen Werken eingesetzt. 1926 erfolgt im Garten der "Villa
Shatterhand" der Bau der "Villa Bärenfett" - in ihr ist seit
1928 das Karl-May-Museum sowie eine Ausstellung über die Indianer Nordamerikas
beheimatet. 1985 zieht ein Teil des Museums, nämlich
"Karl May - Leben und Werk" in die "Villa Shatterhand" um,
die Indianerausstellung verbleibt im Blockhaus. Die Exponate dieser Ausstellung
stammen zum größten Teil aus einer Sammlung, die Klara May 1925 dem
weitgereisten Artisten Ernst Tobis, genannt "Patty Frank",
"abkaufte". Dessen Sammelleidenschaft wurde durch die Erzählungen May´s
gefördert. Als "Kaufpreis" erbat sich Patty Frank ein Blockhaus bei
May´s Wirkungsstätte, eben die "Villa Bärenfett", sowie eine
lebenslange Rente. May`s gesammelte Werke wachsen weiter:
Da er unter vielen verschiedenen Pseudonymen schrieb, tauchen immer wieder
unbekannte Werke aus seiner Feder auf. Auch haben May selbst, vielfach aber auch
seine Verleger Werke abgeändert; die Veröffentlichung der Originaltexte füllt
zusätzliche Bände. Bis heute kommt die "Grüne Reihe" auf die stolze
Zahl von 78 Büchern*: Neben den Reiseerzählungen aus Amerika und dem Orient
finden wir die Jugendbücher ebenso wie die "Münchmeyer-Romane"
(allerdings in abgewandelter Form) und seine symbolischen Erzählungen, aber
auch viele aus seiner erzgebirgischen Heimat sowie Romane, die sich mit
historischen Themen befassen. Ein Band mit Gedichten sowie ein Drama gehören
ebenfalls zu seinen Arbeiten.** Es soll auch nicht verschwiegen werden,
dass er ein Buch nur umgeschrieben hat ("Der Waldläufer" von Gabriel
Fery) sowie eines gar nicht von ihm stammt ("In Mekka" von Franz
Kandolf als Ende der May`schen Erzählung "Am Jenseits"). May`s Lebenswerk lässt sich am besten
mit den Worten aus dem Brief eines Herrn Hermann Kant, der im Karl-May-Museum
veröffentlicht ist - und mit dem ich meinen "Versuch einer
Biographie" beenden will - beschreiben: "O herrlicher sächsischer Lügenbold,
gepriesen sei dein vielgeschmähter Name! Dank dir, du genialer Spinner aus
Hohenstein-Ernstthal, dank dir für tausendundeine Nacht voller Pulverdampf und
Hufedonnern. Heißen Dank für Äquatorsonne und Prairiewind und Wüstensand und
Steppengras, für Shatterhand und Hadschi, für Winnetou und Geierschnabel,
ungeschmälerten Dank dafür, was immer sie dir auch nachsagen. Religiös-sentimental
seiest du gewesen, sagen sie. Kann sein, aber mich hast du mit 40 Bänden nicht
religiös gemacht, und sentimental - ich weiß nicht........." Hubert Dörrenbächer * ) 1999: 81 Bücher **) Anm. 1997: May hat auch vermutlich an zwei Aufklärungsbüchern
- "Das Buch der Liebe I u II" - mitgearbeitet. Zum Seitenanfang
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